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Nach dem Beschuss durch russische Truppen und einem Brand in Europas größtem Atomkraftwerk Saporischschja in der Ukraine hat die russische Armee am Freitag das Gelände des Akw besetzt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf Russland "Nuklear-Terrorismus" vor. Der Brand in der Anlage zeige, "wie gefährlich die Situation ist", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg verurteilte den Angriff auf das Akw scharf.
Die russische Armee hatte die Anlage in der Nacht mit Panzern angegriffen und dort einen Brand ausgelöst. Nach Angaben der ukrainischen Atomaufsicht gerieten ein Schulungsgebäude und ein Labor in Brand, der von der ukrainischen Feuerwehr gelöscht werden konnte. Experten zufolge wurden keine radioaktiven Stoffe freigesetzt.
Russische Soldaten hatten die Löschtrupps nach Angaben der Feuerwehr erst nach Stunden zum Brandort durchgelassen. Nach Angaben des ukrainischen Akw-Betreibers Energoatom wurden drei ukrainische Soldaten bei dem Angriff auf das Atomkraftwerk getötet.
"Das Betriebspersonal kontrolliert die Energieblöcke und gewährleistet deren Betrieb in Übereinstimmung mit den technischen Sicherheitsvorschriften", teilte die ukrainische Atomaufsichtsbehörde mit.
Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) bestätigte, dass es keine Veränderungen bei der radioaktiven Strahlenbelastung auf dem Akw-Gelände gebe und bei dem Beschuss keine systemrelevanten Anlagenteile getroffen worden seien. IAEA-Chef Rafael Grossi erklärte sich bereit, in die Ukraine zu reisen, um über die Sicherheit ukrainischer Atomkraftwerke zu verhandeln.
Selenskyj forderte in einer Videobotschaft "eine sofortige Verschärfung der Sanktionen gegen den nuklearen Terrorstaat." In der Nacht hatte er Russland "Nuklear-Terrorismus" vorgeworfen.
Nato-Generalsekretär Stoltenberg sagte vor einem Sondertreffen der Nato-Außenminister in Brüssel, der Angriff auf das Akw zeige die "Rücksichtslosigkeit" Russlands in dem Krieg.
Bundeskanzler Scholz sagte bei einem Besuch des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr bei Potsdam, dass sich nach derzeitigem Kenntnisstand die Gefahr einer Nuklearkatastrophe "nicht realisiert" habe. "Trotzdem sind wir natürlich immer vorbereitet auf eine Situation, in der es zum Austritt von radioaktiven Elementen kommen kann." Die Umweltschutzorganisation Greenpeace kritisierte, "ein Atomkraftwerk zu beschießen ist unverantwortlicher Wahnsinn".
Der UN-Sicherheitsrat wird sich am Freitag (17.30 Uhr MEZ) zu einer Dringlichkeitssitzung treffen, die vom britischen Premierminister Boris Johnson gefordert worden war. Nach einem Telefonat mit Selenskyj warf Johnson dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vor, sein "rücksichtsloses Verhalten" gefährde "die Sicherheit von ganz Europa". US-Präsident Joe Biden rief Russland auf, "seine Militäraktivitäten auf dem Gelände der Atomzentrale zu beenden".
Moskau machte "ukrainische Sabotagegruppen mit Beteiligung ausländischer Söldner" für den Angriff auf das Akw verantwortlich. "Ziel der Provokation an dem Atomkraftwerk" sei es gewesen, "Russland die Schaffung eines radioaktiven Krisenherds vorwerfen zu können", sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. Dies zeige den "kriminellen Plan" der Regierung in Kiew. Das Atomkraftwerk werde nun von russischen Soldaten gesichert und funktioniere normal, sagte er.
Die Anlage von Saporischschja ist das größte Atomkraftwerk Europas und verfügt über sechs Reaktoren. Aktuell läuft nur ein Reaktor mit reduzierter Leistung. Reaktor 1 ist abgeschaltet, die Reaktoren 2, 3, 5 und 6 werden heruntergekühlt.
Bereits in der vergangenen Woche hatte es Kämpfe in der Nähe des Unglücksreaktors von Tschernobyl gegeben, wo sich 1986 das schwerste Atomunglück der Geschichte ereignet hatte. Die Atomruine wird nun von russischen Truppen kontrolliert.
Unterdessen setzte die russische Armee ihre Bombenangriffe auf ukrainische Städte fort. Bei Angriffen auf Wohngebiete in Tschernihiw im Norden der Ukraine wurden nach ukrainischen Angaben 33 Menschen getötet. Die Kämpfe dort dauerten am Freitag an. In der zweitgrößten Stadt Charkiw wurden den ukrainischen Behörden zufolge wahllos Wohngebiete bombardiert.
In der Stadt Ochtyrka setzten die örtlichen Behörden die Lage mit "der Hölle" gleich, in Sumy sei die Lage "kritisch". Beide Städte liegen etwa 350 Kilometer östlich von Kiew.
Der Bürgermeister der strategisch wichtigen Hafenstadt Mariupol sagte dem britischen Rundfunksender BBC, die humanitäre Situation sei nach 40-stündigem Beschuss und Angriffen auf Schulen und Krankenhäuser "furchtbar".
S.Jones--TFWP